Ein einmaliges Künstlerhaus zum Entdecken
Künstlerhäuser sind einmalige Quellen, die nicht nur über die materiellen Entstehungsprozesse von Kunstwerken Aufschlüsse ermöglichen, sondern auch Einblick in das Selbstverständnis und den sozialen Anspruch einer Künstlerpersönlichkeit in ihrer Zeit gewähren. Es gibt jedoch nur ganz wenige praktisch unverändert erhaltene Wirkungsstätten bedeutender Künstler weltweit; in der Schweiz neben derjenigen von Albert Anker vor allem diejenige seines Zeitgenossen Vincenzo Vela (1820 – 1891), dem Bildhauer des Risorgimento, in Ligornetto. Das Haus von Vela wurde von dessen Sohn Spartaco der Eidgenossenschaft übergeben, die es seither als Museum betreibt. Das Museo Vela gilt heute international als eines der bedeutendsten Künstlerhäuser. Im Unterschied zum Museo Vela oder auch zur Villa Stuck in München, wo Franz von Stuck lebte und arbeitete, ist das Albert Anker-Haus wirklich eine Zeitkapsel, denn nur hier scheint die Zeit unverändert stehen geblieben zu sein.
« Gar viele dieser Köpfe habe ich auf dem Gewissen. Wenn ich meine alten
Zeichenpausen durchsehe, so scheinen es mir gut 150 verschiedene zu sein. Ich
habe dafür die Historie, das Theater und den Olymp ausgeschöpft. »
Das Atelier ist eine grandiose Wunderkammer, in der uns die Objekte aus Ankers Gemälden live gegenübertreten: Spielsachen, Landkarten, Tabakspfeifen, Werkzeuge, Pfahlbauerfunde, Gipsabgüsse antiker Statuen… Auch alles, was Anker zum Malen und Zeichnen brauchte, ist vollständig erhalten: die Staffelei, Paletten, Pinsel, Farbtuben, Malkästen… Dann finden sich auch zahlreiche Zeichnungen, Aquarelle und Ölstudien, die Anker zur Vorbereitung von Bildkompositionen vor Ort anfertigte.
Erlebnisbericht eines ehemaligen Modells
„… Und nun öffnet sich dem kleinen Mädchen die Türe zu glückseligem Erleben: Nichts Weltbewegendes geschieht. Vorerst sitzt es ruhig auf dem kleinen Stückchen und fängt an zu stricken. Dann lässt es die Arbeit etwas ruhen und staunt die neue Umgebung an: das schöne grosse Bild ob der Türe – ein Waldrand im Frühling, im Vordergrund ein Rotkehlchen, bei dem man nie weiss, ob es nicht plötzlich fortfliegt, – der ausgestopfte Vogel, der an langer Schnur von der Decke herunterhängt, – an der Wand die weisse Hand, das Bein, der Arm und der Kopf, deren Herkunft man sich nicht recht erklären kann und die dem Kind deshalb ein wenig schreckhaft vorkommen – des Malers kleiner Tisch mit Pinseln und Schälchen aller Grössen und vielen, vielen Farben und dann der Maler selbst, der einem so prüfend aus seinen tiefliegenden Augen anschaut, aber gar nicht etwa zum Fürchten, oh nein, die Augen sind so gut, man hat sofort grosses Vertrauen und fühlt sich heimisch in dieser fremden Umgebung. Er weiss gut zu plaudern, der 73-jährige Mann, mit dem vierjährigen Mädchen. Die Menüs in den beiden Familien werden besprochen und staunend hört das Kind, dass Herr Anker gerade heute gar nicht zufrieden war mit der Köchin, weil sie etwas gekocht, das er gar nicht so gern habe. Da durfte es nun auch erzählen, dass es auch nicht alles gern habe, die Kutteln zum Beispiel, die so schlüpfrig und schwammig und gar nicht gut sind, die weissen Rüben, die so bitter sind, und wie man zu Hause eben von allem, was auf den Tisch kommt, nehmen müsse. Für alles scheint er Verständnis zu haben, auch dafür dass das Mutti immer nur wenig von diesen Dingen auf den Teller gibt. „Da hast du ein gutes, liebes Mutti, dem musst du immer viel Freude machen, gell ja?“ …. “
Vorlesung „Glückliche Tage mit Maler Albert Anker“ von Martha Kellerhals-Stucki an der Eröffnung der Anker-Ausstellung 1967 in Ins